Alles an diesem Frühlingstag erscheint symbolisch. Der Kieler Schriftsteller Klavki schaut aus der Grand Suite des Maritim-Hotels, in die er sich bewusst geflüchtet hat, über die Weiten der Fördemündung. Ein Ort, den er sich nicht nur wegen der unmittelbaren Wasser-Nähe zum Schreiben wählte, auch weil es der einzig mögliche Ort ist, „wo alles Leben und Weltliche nichtig werden“, wo man unbehaust genug sein kann, um in den Text, „dieses radikal einzig Verbleibende“, zu verschwinden.
Klavki ist auf dem Sprung, heraus aus Kiel. Aber nur mit seinem Werk. Als Mensch kann er sich keinen anderen Ort zum
Leben und Schreiben vorstellen, denn „hier ist meine Scholle, hier haben mir Wind und Wasser seit der Kindheit alles
jetzt zu Verwirklichende ins Ohr geflüstert, nur hier kann man manchmal zwei Meere riechen“. „Die Dinge liegen bereit,
aber erst jetzt fügen sie sich“, weiß der Dichter und genau das ist Thema in seinem Roman, den man als „Weltentwurf“
bezeichnen muss.
Wenn man zu den wenigen zählt, die dem „Traumzeugen“ im Maritim-Exil schon vorab lauschen dürfen, ist man nichts weniger als ergriffen von dieser Umfassung von Mythos und Gegenwart auf einer ganz neuen sprachlichen Stufe. „Man muss das Alte weg schreiben, damit etwas Neues entstehen kann“, sagt Klavki. Und knüpft darin an den alten, „an und im Wasser lebendigen“ Mythos an, dass es die Delphine sind, die den antiken Sängern Sprache und Stimme retteten, indem sie sie an einen anderen, außerweltlichen, nicht mehr von Sprache behausten Ort brachten. An Klavkis Hals hängt ein solcher Delphin, geschnitzt aus dem Holz einer Rindenwucherung. Denn eben so eine wuchert in ihm, will ihm ans Leben, so wie er als Dichter allen gewesenen Texten endlich und letztgültig ans Leben will. Klavki hat Krebs in fortgeschrittenem Stadium. Und ob er den, anders als sein Roman die gewesenen Literaturen, überleben wird, ist ungewiss.
Was an ihm zehrt, was ihn von innen her auffressen will, ist eine singuläre, die Ärzte ratlos machende Krankheit,
die Klavki als „die Wunde des ungeschriebenen Textes“ begreift. Einst war es an der Förde, an deren sicht- und erfühlbares
Panorama-Ufer er jetzt zurück gekehrt ist, dass er „so ein Gespür“ hatte, „dass das Meer jenes birgt, was man wie die
Delphine singen muss“. Eine Art „Hintergrundstrahlung“, die im Kosmos mit erkalteten 21 Grad Kelvin vom Urknall nachhallt,
den Klavki im „Traumzeugen“ noch mal gewaltig zünden will.
Sein Roman beschreibt die Welt nicht, sondern besingt sie, „bevor die Schrift war“. Eigentlich müsse man den
„Traumzeugen“ hören, nicht lesen, sagt Klavki. Die Kultur der Verschriftlichung selbst hinterfragt der Roman,
er will sein, indem er vom Sein in der Sprache Abschied nimmt. Auf dem Teppichboden der Maritim-Suite lagern die
Zettel mit Zitaten wie ein Menetekel, „dass wir in unserer Sterblichkeit demütig werden, dass das Sein nur im Text
sein kann, nicht in uns“. „Ich bin kein Schriftsteller mehr, ich bin die Wunde Text“, singt Klavki. Und man spürt
seinen Blick, wie er sehnend über die Förde späht, ahnend die Delphine ...
Von Jörg Meyer